Onlinewoche-Autorin Alexandra Stark berichtet aus Moskau
Privjet!
Das Wasser gurgelt in den Heizungen, leider nur ein Probelauf. Es wird
wohl
noch einen Monat dauern, bis unsere Wohnung geheizt wird. Aber über den
Winter schreib ich noch nichts. Ich habe ja noch mindestens sieben
Monate
Zeit. Dafür ein (nicht untypisches) Häppchen aus dem Moskauer
(Arbeits-)
Alltag:
«Sie sind nicht auf der Liste», sagte die frisch manikürte Dame und
legte
den Bogen mit den Namen derjenigen, die sich zum Anlass angemeldet
hatten,
zurück auf den Tisch. «Sie können hier nicht rein», sagte sie
resolut und
versperrte den Weg in die Halle. Ich hatte es geahnt und mir auf dem Weg
zum
Termin im «Monolith», einem der exklusivsten Clubs Moskaus, mein Sprüchlein
schon zurechtgelegt: «Ich weiß. Aber ich kann auch gar nicht auf der
Liste
sein. Die Ankündigung, dass heute morgen um halb neun eine
Roundtable-Diskussion zum schlechten Image Russlands in europäischen
Wirtschaftskreisen stattfindet, habe ich erst gestern um 21 Uhr
erhalten.
Ich habe sofort bei Ihnen angerufen. Aber um diese Zeit arbeitet bei
Ihnen
schon lange keiner mehr. Und vor zehn Uhr morgens braucht man ja auch
nicht
zu telefonieren. Außerdem habe ich Ihnen noch gestern Abend eine e-mail
geschrieben. Die haben Sie bestimmt nicht gesehen, richtig?», sagte ich
bissig. «Und übrigens bin ich sogar Mitglied im European Business
Club, der
diesen Anlass organisiert hat». Die Frau blieb absolut unbeeindruckt.
«Mag sein, Sie stehen aber nicht auf der Liste. Und außerdem bin ich
nicht
vom European Business Club», sagte sie, «wir vom Monolith stellen
lediglich
die Räume zur Verfügung und kontrollieren, wer reinkommt.» Will heißen,
mein Fall interessierte sie kein bisschen. Für solche Fragen war sie
auch
überhaupt nicht zuständig. Eine kleine Zusatzleistung zu erbringen und
jemanden vom European Business Club herbeizurufen, fiel ihr auch nicht
ein.
Meine Bitte, ob sie nicht jemanden von den Organisatoren rufen könnte,
beantwortete sie salopp mit «die sind schon alle drin». Der Journalist
von
Iswestja, dem eben das Selbe passiert war, hatte schon kapituliert und
war
frustriert davongezogen. Jede Menge Menschen drängelten sich um den
Tisch,
um noch zur Präsentation eingelassen zu werden.
Das Image Russlands im Ausland ist schlecht, um das zu erkennen, braucht
man
eigentlich keine Studie zu machen, da reicht Zeitungslektüre und ein
Blick
in die Statistiken, die im internationalen Vergleich sehr dürftige
ausländische Investitionen ausweisen, obschon in Russland 150 Millionen
konsumhungrige potenzielle Kunden leben und Russland sich schneller zum
Besseren entwickelt als sein Image. Vieles hat sich in den vergangenen
anderthalb Jahren in Russland verbessert. Die Reformbemühungen unter
dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin beginnen zu greifen. Doch wie in
der
Studie, die an diesem Morgen vorgestellt werden soll, beschrieben ist,
ist
die Bürokratie nach wie vor noch immer eines der größten Probleme,
mit dem
Business-Leute hier zu kämpfen haben.
«Vor allem eine Unmenge unsinniger Regeln und das sture Festhalten
daran»,
fuhr es mir durch den Kopf, als ich überlegte, was ich nun machen
sollte.
«Ist man nicht auf der Liste, kommt man nicht rein. Warum man nicht auf
der
Liste ist, hat mit der Tatsache, dass man nicht auf der Liste ist,
nichts zu
tun». Verwirrend? Find ich auch. Diese Art von Begründungen sind hier
trotzdem keine Seltenheit. Deshalb habe ich mir schon lange die
«Überlebensregel Nummer 1» zurechtgelegt: Versuch nie, die Logik zu
verstehen, das geht (in den allermeisten Fällen) nicht. Versuch lieber,
das
Resultat zu beeinflussen.
Nur wie? So schnell werden die mich nicht los, beschloss ich
kampflustig,
obschon der nette Türsteher mich schon zum zweiten Mal überaus
freundlich
drauf aufmerksam machte, dass das Lokal «Monolith» (der Name ist
offensichtlich nicht zufällig gewählt worden) ein privater Klub sei
und
somit Leute nicht reingelassen werden müssen. Langsam begann ich mich
aufzuregen. «Super», dachte ich mir. «Was für ein genialer
Anschauungsunterricht zu den großen Problemen Russlands!» Gerade als
ich
das überlegte, drängelte sich ein Typ vor, hielt der netten Dame einen
Ausweis unter die Nase. Sie schaute auf ihrer Liste nach und setzt an:
«Sie
sind nicht auf der S». Weiter kam sie nicht. Ein Mann in dunklem Anzug,
der
bisher total gelangweilt hinter ihr der Wand lehnte, sagte bestimmt: «Dann
setz ihn drauf!». Sie nahm den Stift und kritzelte brav den Namen des
Mannes
auf die Liste.
Noch mehr Anschauungsunterricht. Kennt man die richtigen Leute, wird das
scheinbar Unmögliche zum Pappenstil (Überlebensregel Nummer 2). «Und
wenn
das nichts nützt, kann man noch ein bisschen nachhelfen» (Regel Nummer
3,
allerdings mit Vorbehalt zu genießen), dachte ich bitter. In dieser
Situation die nette Dame zu bestechen zu wollen, wäre natürlich total
absurd
gewesen. Die Vorstellung amüsierte mich trotzdem, aber nur kurz. Ich hätte
eigentlich platzen können. «So, der kann also rein und ich nicht. Wo
ist
denn hier der Unterschied?», fragte ich. Keine Antwort, die Frau
raschelte
mit den Papieren. Ohnmachtsgefühle stiegen in mir auf. Doch die Rettung
nahte: Eine Frau, die mit starkem französischen Akzent sprach. Es
stellte
sich heraus, dass sie eine Mitarbeiterin des European Business-Clubs
ist.
«Ja, ja! Klar, ich erinnere mich an Sie!», sagte sie freundlich. «Setzt
Frau
Stark doch bitte auf die Liste», wies sie die nette Dame an.
Eins habe ich mir geschworen: Statt mich wieder aufzuregen, investiere
ich
meine Energie in Networking. Das ist der Schlüssel zum Erfolg in
Russland.
Nur, das mit der Energie ist ja auch so eine Sache. Networking braucht
ja
auch ziemlich viel Zeit. Tagsüber komme ich kaum dazu und abends, na
ja, da
hab ich in der letzten Zeit das Fernsehen entdeckt. Ich getrau mich
eigentlich gar nicht zu sagen, dass ich gerne Derrick schaue, oder
Kommissar
Rex. Seit die aber russisch reden, habe ich die perfekte Ausrede: «Fernsehen
ist gut für Dein Russisch», hatte Alla, meine Russisch-Lehrerin,
gesagt. Und
deshalb schaue ich jetzt Kommissar Rex und Derrick auf Russisch.
Ich schaue natürlich auch Nachrichten. Nur reden die Sprecherinnen und
Sprecher so schnell, als ob jemand neben dran stehen würde, der eine
geladene Kalaschnikow im Anschlag hätte.
Da schau ich doch lieber Derrick. Der denkt so langsam und spricht nur
wenig. Die Geschichten verstehe ich trotzdem meistens nicht ganz. Gerade
bei
Derrick macht das aber überhaupt nichts: Da sehen die Bösen böse aus
und ich
reim mir alles selber zusammen. Hin und wieder hört man auch einen
Brocken
Deutsch raus, denn die die Filme werden nicht synchronisiert, sondern es
wird einfach Russisch darüber geredet. Ziemlich gewöhnungsbedürftig,
aber
wenigstens gibt es mittlerweile für pro Schauspieler auch eine Stimme.
Bei den älteren Filmen oder bei Billigproduktionen ist das nicht so. Da
gibt
es einen Erzähler, der in monotoner Stimme nacherzählt, was grad über
den
Bildschirm flattert. So im Stil von: «Sagt er: Ich bring dich um. Sagt
sie
mach mal, du getraust dich ja doch nicht. Er schießt. Sie fällt tot
um.
Sagt er: Siehst du!»
hätte ich es glaub
ich nicht gemacht.
Bis bald!
Mit lieben Grüssen aus Moskau
Alex
Eine Kolumne für die Schweizer
Zeitschrift "Annabelle"
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