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Bei bis zu Minus 45 Grad müssen die Menschen in Ostasien auf den Frühling warten Eiseskälte
in Sibirien
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Onlinewoche-Autorin Alexandra Stark mit einem Erfahrungsbericht aus dem frierenden Asien Seit zwei Wochen bin ich in Irkutsk, der Hauptstadt Ostsibiriens. Über Weihnachten hatten wir Besuch, Neujahr haben wir auf dem roten Platz gefeiert und ich war so beschäftigt, dass ich keine einzige Zeitung gelesen habe. Als wir uns im Sinkflug auf Irkutsk befanden, kam die Durchsage "meine Damen und Herren, in zehn Minuten landen wir in Irkutsk. Die Temperatur beträgt minus 44 Grad." Ich dachte, ich hätte mich verhört. Es war vier Uhr morgens, ich war müde und der Lautsprecher knatterte. Zahlen waren noch nie wirklich meine Stärke, und ich vertue mich im Russisch immer wieder. Nur, die Zahl 44 auf Russisch kann eigentlich mit keiner anderen verwechselt werden... Ich fragte meinen Nachbarn. "Ja haben Sie denn nicht mitbekommen, dass es in Sibirien so kalt ist wie schon seit fünfzig Jahren nicht mehr?", fragte er erstaunt. Hatte ich nicht... Es ist kalt. Erst merkt man
die Kälte gar nicht. Sie ist so trocken, dass es ein paar Sekunden
dauert, bis man etwas spürt. Nach einigen Sekunden friert aber die
Nasenschleimhaut ein. Das fühlt sich an, als wenn man sich
Sekundenkleber in die Nase geschmiert hätte. Ein ganz komisches Gefühl!
Gestern habe ich einer Babuschka selbstgenähte Handschuhe aus einem
alten Pelzmantel abgekauft. Meine superteuren Skihandschuhe aus der
Schweiz konnten bei diesen Temperaturen nicht mehr mithalten. Aber auch
mit diesen Handschuhen und einem dicken Wollschal aus Ziegen-Unterwolle,
den ich einer Frau aus Dagestan abgekauft habe, halte ich es draußen
nicht länger als eine Viertelstunde aus. Die Scheiben der Häuser sind
innen zentimeterdick vereist, die Scheiben der Autobusse zugefroren... Mittlerweile kann ich das sagen und ich habe eingesehen, dass ich Nadjeschda nicht davon abbringen kann, jeden Morgen um sieben an den Herd zu stehen und mir ein Frühstück zu kochen. Die Schürze über ihrem Nachthemd und eine Mütze auf dem Kopf, steht sie so lange neben mir, bis ich aufgegessen habe. "Draußen ist es kalt, iss!" Widerstand ist zwecklos, ich hab es versucht und habe kapituliert. So wie früher die Regierung für das Volk, denkt sich heute Nadjeschda für mich aus, was gut ist, ob mir das passt oder nicht, ist ihr herzlich egal,. So sitze ich also jeden Morgen vor meinem Teller und muss mich unglaublich überwinden. Erstens kann ich am morgen früh nicht so viel essen, zweitens wird mir beim Anblick von Fleisch um halb acht Uhr morgens übel und außerdem heißt es doch: Wer zahlt, befiehlt, nicht? Die Zähne putzte ich in der
Badewanne, das Brünneli funktioniert nicht. Die Abwasserleitung des Brünnelis
geht der Außenwand entlang und würde sofort einfrieren. Deshalb liegt
ein großes Brett über dem Waschbecken, so dass niemand auch nur auf
die Idee kommt, dort Wasser hinunterzuleeren. Damit die Abflussröhre
der Badewanne nicht vereist, läuft den ganzen Tag heißes Wasser, das
vom Heizkörper abgezapft wird. Während die Leute in Wladiwostok seit
Wochen keine Heizung mehr haben und alle paar Tage einige Stunden Strom
kriegen, ist hier Energie zum Versauen vorhanden. Mein Fenster stand
auch bei minus 40 Grad immer ein Spalt offen, weil es einfach zu heiß
war. Gestern habe ich die ersten
Fotos vom Laden abgeholt, die ich vor einigen Tagen gebracht hatte. Der
Typ im Laden hatte mich gefragt, ob ich alle Fotos wollte oder nur die
guten. "Nur die guten!", sagte ich und war dann ein wenig
erstaunt, als ich nur 12 von 36 Fotos bekam. Ich schaute die Negative
an, von mir aus gesehen waren die alle in Ordnung. Ich fragte den Verkäufer,
warum er nur 12 Fotos vergrößert habe, die Fotos seien doch alle
richtig belichtet und scharf. "Ja schon", sagte er, "aber
darunter ist zum Beispiel ein Foto einer Lampe. Wenn das für Sie ein
gutes Foto ist, dann mache ich Ihnen gleich einen Abzug davon."
Heute im Russischunterricht haben wir eine Statistik angeschaut. 57
Prozent der befragten Russen gaben an, dass sie sofort für immer
auswandern würden, wenn sie nur könnten. Für Irina, meine Lehrerin,
ist das absolut unverständlich. Irkutsk, das fünftausend Kilometer östlich
von Moskau liegt ist ihr Nabel der Welt. "Sogar Wolodija, unser
Schulleiter träumt davon, nach Neuseeland auszuwandern", sagte sie
schaudernd. "Stell Dir vor! Nach Neuseeland! Das liegt doch
wirklich am Arsch der Welt!" |
zurück zur Startseite | Erschienen im Rheinischen Merkur Ausgabe:28/97 |