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Die Tourismusbranche entdeckt ihr ökologisches Bewußtsein

Das grüne Kapital

von Daniel Delhaes
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Sommer, Strand und Sonne
wünschen sich die meisten Urlauber.
Intakte Natur wird dabei immer wichtiger
und zugleich seltener.



"Die Dunkelheit brach herein, und die Inseln wurden in der Ferne sichtbar, sie schwebten über dem Wasser, sie berührten es nicht. Die Sterne strahlten im prächtigen Glanz, der Wind wehte sanft und kühl. Ich spürte sofort, was Griechenland ist, was es gewesen war und was es immer sein wird, selbst wenn es das Unglück haben sollte, von amerikanischen Touristen überlaufen zu werden."
  Der amerikanische Literat Henry Miller liebte das Reisen. Fünf Monate ließ er sich Zeit, um Hellas in sich aufzusaugen, um Land und Menschen kennen- und liebenzulernen. Für ihn war Reisen Erkunden, die Suche nach paradiesischen Orten. Millers Griechenland ist von großen Urlaubsmassen verschont geblieben. Die streßgeplagten Völker zieht es zwar ans Mittelmeer, aber vornehmlich nach Spanien, Italien und Frankreich. Spanien, weltweit das Hauptreiseland Nummer eins, erwartet dieses Jahr 43 Millionen Besucher, davon elf Millionen sonnenhungrige Deutsche.
  
    Der Massentourismus hat sich zur modernen Form der Völkerwanderung entwickelt. Mit fatalen Folgen: Nach Aussagen des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) sind von Gibraltar bis Sizilien drei Viertel der Dünenlandschaften und ihre Ökosysteme auf Dauer zerstört. Allein im nordwestlichen Mittelmeerraum ersticken unter Hotels und Ferienanlagen 2200 Quadratkilometer Boden. Das entspricht etwa der vierfachen Fläche Berlins. Und noch einmal die gleiche Fläche Natur mußte etwa Straßen, Wanderwegen und Golfplätzen weichen. Der Tourismus verursacht jährlich Umweltschäden in Milliardenhöhe. BfN-Präsident Martin Uppenbrink fordert deshalb die Deutschen auf, umweltfreundliche Urlaubsziele anzusteuern.
  Deutschland ist die zweitgrößte Reisenation hinter den USA. 1996 gaben die Deutschen 71 Milliarden Mark im Urlaub aus. Da aber kaum ein Pfennig der weltweiten Reiseausgaben der Umwelt zugute kommt, häufen sich die Forderungen nach umweltfreundlichen Reisen, damit auch zukünftige Generationen intakte Naturräume vorfinden. Umwelt und Massentourismus ein unauflösbarer Widerspruch?
  In der Reisebranche hat sich der Umweltgedanke durchgesetzt zumindest solange er nicht den Umsatz mindert. Massive Umweltzerstörungen und sensibilisierte Urlauber sowie Einheimische haben Unternehmensführer merken lassen, daß natürliche Ressourcen nicht nur eine unentgeltliche Dreingabe für den Menschen sind, sondern schützenswertes Kapital. Nicht zuletzt die Natur sichert der Branche und vielen Staaten, die stark vom Tourismus abhängen, das Überleben. Industrienationen, Entwicklungsländer und Inselstaaten, sie alle wollen ein Stück vom großen Kuchen Tourismus abhaben. Der Umwelt einen höheren Stellenwert einräumen möchten deshalb alle. Nur, wer die Kosten tragen soll, ist ungewiß.

  Beim Thema Umweltschutz am weitesten ist unter den Reiseveranstaltern die TUI, Europas Nummer eins mit 4,7 Millionen Kunden und einem Umsatz von 7,7 Milliarden Mark. Seit sieben Jahren hat die TUI einen Umweltbeauftragten. Wolf Michael Iwand versucht zu dem Gewinnstreben des Branchenriesen auch ökologische Zielsetzungen in der Unternehmensphilosophie zu verfestigen und fühlt sich heute wie die Laus im Pelz. Iwand, der zu Beginn von Skeptikern den Titel "Dr. Vorwand" erhielt, hat das Denken unter den 8800 Mitarbeitern und den Partnern der TUI in den Urlaubsgebieten verändert.
  Dabei hilft der TUI ihre Marktmacht. In weltweit 150 Urlaubsgebieten prüft sie regelmäßig über 7000 Hotelbetriebe auf deren Bemühen, umweltschonend zu wirtschaften: Wird Energie gespart und Müll vermieden? Wird das Abwasser vernünftig geklärt? Die TUI drängt in den Urlaubsorten auf Kläranlagen und unterstützt Aufforstungsprogramme, bei denen auch Urlauber mitmachen können. Mittlerweile umfaßt die Umweltabteilung sieben feste Mitarbeiter, die im Unternehmen auf 200 fachliche Ansprechpartner zurückgreifen können.
  Andere Unternehmen wie ITS und DER begnügen sich derweilen noch mit nebenamtlichen Umweltbeauftragten. Bei DER versucht Marco Dadomo dem Unternehmen grünen Atem einzuhauchen. "Da wir kaum Pauschalreisen anbieten, fällt es uns aber schwer, Einfluß auf das Umweltverhalten vor Ort zu nehmen", sagt er. DER achtet auf branchenübliche Hotelstandards und engagiert sich im Umweltsponsoring. Allerdings sind es gerade zehn Pfennig, die aus jeder gebuchten Reise der Naturschutzorganisation WWF zufließen. Bei der ITS steckt die Umweltarbeit noch in den Kinderschuhen. Seit Jahresbeginn gibt es hier einen Umweltbeauftragten.
  Vom Massentourismus wird sich freilich niemand verabschieden wollen, das erlaubt schon der harte Konkurrenzkampf in der Branche nicht. Denn nur über den Transport der Massen lohnt sich das Geschäft. Der Preisdruck ist enorm. Und mit der Liberalisierung des Flugverkehrs wird Reisen noch billiger und damit attraktiver. Es sind enorme Überkapazitäten entstanden, die einen regelrechten Schub an Billigangeboten gebracht haben.
  New York für 499 Mark lockt ebenso in die Ferne wie eine Woche Dominikanische Republik für 1699 Mark. Und wer fährt schon mit der Bahn, wenn er für 150 Mark von Frankfurt nach Berlin fliegen kann? Keine tagelange Anreise mehr mit Bahn und Schiff, wie sie Henry Miller damals noch mit Genuß erlebte. Der Preis bestimmt das Reiseverhalten. Urlaube werden zu Kurztrips, Buchungen erfolgen immer später und für immer exotischere Gebiete, um vielleicht doch noch das in der Literatur oft beschriebene Paradies zu erblicken. Das Ziel, den Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid zu senken, wird damit konterkariert. Die Umwelt zahlt.
  "Natürlich möchte der Kunde eine saubere Umwelt im Urlaub vorfinden, nur zahlen will er dafür nicht", sagt TUI-Umweltbeauftragter Iwand. Immerhin: 20 Prozent der deutschen Urlauber erkundigen sich im Reisebüro nach der Umweltsituation in ihrem Zielland. Auf EU-Ebene wird zwar über die Besteuerung von Flugbenzin nachgedacht, doch deren Umsetzung läßt weiter auf sich warten. Derweil hat sich das Nischenprodukt Ökotourismus entwickelt. Urlaub auf der Insel Ometepe im Nicaraguasee oder auf den Spuren der MayaKulturen im Dschungel von Guatemala werden angeboten. Das Ziel ist es, die Einheimischen an den Profiten teilhaben zu lassen und zugleich den Tourismus umweltgerechter zu lenken. Doch gibt es auch Kritik. Am Beispiel des Nationalparks Taman Negara im tropischen Regenwald Westmalaysias hat die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit festgestellt, daß lediglich ein Drittel der Devisen durch den Ökotourismus im Urlaubsland bleiben, der Rest fließt in die Kassen der Fluggesellschaften und Reiseveranstalter. Ähnliche Ergebnisse gab es bei einer Untersuchung in Lateinamerika. "Allein die Anreise verursacht 95 Prozent der Umweltbelastungen einer solchen Reise", kritisiert Hansruedi Müller, Leiter des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus an der Universität Bern. Ökotourismus sei daher eine reine Worterfindung.
  Es gibt etliche Staaten, die aus eigenem Antrieb die Umwelt als wichtiges Kapital für einen langfristigen Tourismus begreifen. Auf der Urlaubsinsel Mallorca etwa wurden strenge Richtlinien erlassen, nach denen gebaut werden muß. Alte Hotelkomplexe werden abgerissen und so ersetzt, daß man vom Meer aus auch noch das Hinterland erblicken kann. Auch wird größter Wert auf Grünanlagen gelegt. Auf den Kanaren sind 40 Prozent der Flächen naturgeschützt, andere Länder quotieren gar die Besucherströme.
  Die Umwelt ist zum Wettbewerbsfaktor geworden. Der Kunde verlangt einen sauberen Urlaub, die Anbieter reagieren. Reiseveranstalter, die als umweltbewußt gelten, werden gerne von Regierungen oder Bürgermeistern bei neuen Projekte um Rat gebeten und sind später bei der Verteilung der Lizenzen in erster Reihe. Damit lohnt sich das Geschäft, denn auch das Produkt Urlaub muß Gewinne abwerfen. Die weniger an den Profit denkenden Umweltbeauftragten halten wacker an ihren Zielen fest. Das TUI-Umweltgewissen Iwand schafft es weiterhin, einen einstelligen Millionenbetrag für seine Umweltziele loszueisen. Umweltverträglich will es der Kunde schließlich, um am Ende vielleicht doch noch Idyllen zu finden, von denen Henry Miller sich bereits vor 50 Jahren verzücken ließ.

  "Ich lehnte mich zurück und blickte zum Himmel empor. Noch nie hatte ich einen solchen Himmel gesehen, er war herrlich. Ich fühlte mich völlig losgelöst von Europa, ich hatte ein neues Reich als ein freier Mensch betreten alles hatte sich vereinigt, um dieses Erlebnis einzigartig und fruchtbringend zu gestalten. Mein Gott, war ich glücklich!" 


zurück zur Startseite Erschienen im Rheinischen Merkur Ausgabe:28/97